Natalie ist verheiratet, Mutter eines Sohnes und arbeitet Vollzeit. Zehn Wochen nach der Geburt ist sie wieder in ihren Job zurück gegangen. Sie liebt ihren Job und verlässt sich bei der Betreuung des gemeinsamen Kindes voll und ganz auf ihren Mann. Aktuell ein noch eher unübliches Familienmodell. Daher freue ich mich umso mehr über dieses tolle Interview, das auch anderen Eltern Mut machen soll, sich von äußeren Erwartungen frei zu machen und den eigenen Weg zu gehen.
1. Erzähl doch mal, wer und wie viele seid Ihr in Eurer Familie?
Mein Mann Philipp (29) und ich (Natalie, 28) wohnen im Rhein-Main-Gebiet und sind seit der Schulzeit zusammen. 2014 haben wir geheiratet, im September 2017 kam unser kleiner Sohn Emil auf die Welt und bereichert seitdem unser Leben.
2. Wie sah Eure berufliche Situation aus bevor Ihr Euer Kind bekommen habt? Und wann bist Du nach der Elternzeit wieder in den Job eingestiegen?
Mein Mann und ich haben gearbeitet. Ich bin nach 10 Wochen (8 Wochen Mutterschutz + 2 Wochen Urlaub) wieder Vollzeit (40 Stunden) in meinen alten Beruf (PMO und Executive Assistant in einem großen internationalen IT Unternehmen) zurückgekehrt. Ich habe das Glück, 4 Tage die Woche im Home Office arbeiten zu können. An einem Tag in der Woche fahre ich nach Darmstadt ins Office.
3. Wie gestaltet Ihr aktuell Euer Arbeits- und Familienmodell? Habt ihr eine feste Aufteilung was Arbeitszeiten, Verantwortlichkeiten und Aufgaben angeht?
Mein Mann ist in Elternzeit und kümmert sich um Emil. Er geht mit ihm in die Krabbelgruppe, zum Kinderturnen, einkaufen und trifft sich mit Spielkameraden. Außerdem macht er den Haushalt und hält mir den Rücken frei. Ich gehe von montags – bis freitags arbeiten. 4 Tage von zu Hause und 1 Tag im Büro. Er macht einen super Job als Hausmann, geht in der Rolle total auf und ich liebe meine Arbeit. Ich kann mir nicht vorstellen, Vollzeit zu Hause zu bleiben.
4. Wo und wie ist Euer Kind betreut, wenn Ihr arbeitet?
Philipp betreut ihn.
5. Was macht Ihr, wenn die Planung durch Krankheit oder andere Ereignisse zunichte gemacht wird? Gibt es dafür ein Notfallnetzwerk oder einen Plan B, der zum Tragen kommt?
Zum Glück war Philipp erst einmal krank in den letzten fast 1,5 Jahren. An diesem Tag habe ich Emil morgens zu meinen Eltern gebracht, sie haben sich den Tag über um ihn gekümmert, sodass ich arbeiten konnte. Nachmittags habe ich ihn wieder abgeholt. So konnte Philipp sich ausruhen, war recht schnell wieder fit und ich musste keinen Krankheitstag beim Arbeitgeber einreichen.
6. Gibt es auch mal sowas wie ein schlechtes Gewissen oder Erwartungen von Außen, die den Alltag schwierig machen? Und wenn ja, wie geht Ihr damit um?
Anfangs wurden wir von vielen Seiten belächelt – „Wie, Du bleibst nicht zu Hause beim Kind?“ oder „Kann der Mann das denn überhaupt?“ Meine Standard Antwort war dann immer „Philipp kann alles wunderbar, bis auf das Stillen – und hierfür gibt es elektrische Milchpumpen.“ Ich habe Emil 13 Monate gestillt, trotz meiner Vollzeit Stelle – es geht alles, wenn man ein bisschen im Vorfeld plant, organisiert und jeder mit anpackt.
In unserer Gesellschaft herrscht leider immer noch vermehrt die Einstellung von der klassischen Rollenverteilung – weicht man davon ab, wird man oftmals mit verstörenden Blicken und Unverständnis „gestraft“.
Den „Alltag erschwert“ haben uns diese Kommentare nicht – im Gegenteil – wir haben in den letzten 1,5 Jahren bewiesen, dass unser Modell durchaus funktioniert und vor allem, dass wir beide damit glücklich sind. Ich kann mir ein Leben ohne meinen Job und nur zu Hause als klassische Hausfrau nicht vorstellen. Ich habe 3 Jahre studiert und bin seit fast 10 Jahren im gleichen Unternehmen. Ich wollte meinen Job nicht wegen dem Kind an den Nagel hängen müssen – nicht, wenn auch beides kombinierbar ist. Jeder zieht bei uns an einem Strang und wir unterstützen uns gegenseitig – nur so funktioniert es. Und ich bin wahnsinnig stolz auf uns Drei – natürlich ist nicht jeder Tag gleich und es ist nicht immer einfach. Aber das kommt auch in der klassischen Rollenverteilung vor. Wenn wir nach einem Arbeitstag zusammen auf dem Sofa sitzen, Emil friedlich schläft und alle Arbeit erledigt ist, stellen wir immer wieder fest, dass unsere Entscheidung genau richtig war und wir es jederzeit wieder so machen würden.
7. Schafft ihr es in Eurem Familienmodell auch Zeit für Eure persönlichen Bedürfnisse als Eltern zu finden?
Ja, nachdem ich Emil zwischen 18 und 18:30 Uhr ins Bett gebracht habe und Philipp für uns gekocht hat, essen wir gemeinsam in Ruhe und haben Zeit für uns als Paar. Darüber hinaus wohnen meine Eltern nur 15 km von uns entfernt – sie freuen sich, wenn sie mal Zeit mit Emil alleine verbringen können und wir genießen den „freien“ Tag beim Bummeln in der Stadt oder in der Sauna beim Entspannen.
8. Was würdest Du sagen ist aktuell für Dich die größte Herausforderung bei der Vereinbarung von Kind und Beruf?
Nach einer unruhigen Nacht morgens fit für den Job zu sein. Aber zum Glück gibt es Kaffee und die schlechten Nächte sind (aktuell) eher die Seltenheit. Und wenn man dann doch mal müde vor dem Rechner sitzt, hilft mir der Satz „Es ist alles nur eine Phase und geht vorüber“ unglaublich, um wieder motiviert nach vorne zu schauen.
9. Womit hast Du so gar nicht gerechnet bevor Du Mutter geworden bist?
Dass es Leute gibt, die überall ihren Senf dazuzugeben und einem mit mehr oder weniger gut gemeinten Ratschlägen überhäufen. Dies fing bereits in der Schwangerschaft und hält bis heute an.
10. Kannst Du anderen Eltern, hilfreiche Apps oder Tools empfehlen? Oder hast Du noch andere Tipps, um das jeweilige Berufs- und Familienmodell gut zu organisieren?
Wir schauen am Beginn einer jeden Woche auf den privaten und den beruflichen Kalender und planen die Woche „grob“ – d.h. wann gibt es wichtige Termine, an denen ich im Büro sein muss oder wann sind die Termine von Emil und Philipp. Wenn das steht, planen wir alles andere drum herum.
Mein Tipp: Lasst euch nicht von der Meinung anderer Leute beeinflussen. Jeder sollte seine eigenen Erfahrungen machen und sich auf keinen Fall von Familie/Freunden/Bekannten reinreden lassen. Jede Familie ist in ihrer Konstellation, ihren Interessen und Vorstellungen individuell, sodass es kein „Patentrezept“ für ein glückliches und erfolgreiches Modell gibt.
11. Wenn Du einen Wunsch frei hättest, was müsste sich ändern, um das Miteinander aus Familie und Beruf noch besser hinzubekommen?
Viel mehr Unternehmen müssten ihren Mitarbeitern die Chance zur mobilen Arbeit geben. So kann man das Privat- und das Berufsleben viel einfacher miteinander vereinbaren. Gerade wenn man einen weiten Arbeitsweg hat. Durch die Möglichkeit des Home Office, spare ich mir am Tag mind. 2 Stunden Fahrtzeit. Das vereinfacht vieles und man erreicht einfacher seine „Work-Life-Balance“. Die gewonnene Zeit kann ich produktiv vor dem Rechner oder abends mit meinen zwei Männern verbringen. In meinem Job ist das möglich, da unsere Mitarbeiter in ganz Deutschland und im Ausland sitzen und das klassische Meeting schon lange nicht mehr nur im Konferenzraum, sondern zu 99% über WebEx, Telepresence oder den Chat stattfindet. Dabei spielt es keine Rolle, von wo man arbeitet.
In der Gesellschaft muss auch ein Umdenken stattfinden – nämlich dahingehend, dass Papas genauso anerkannt werden, wenn sie sich für die Rolle des „Hausmanns“ entscheiden und nicht von allen Seiten belächelt werden. Mamas dürfen nicht als „Rabenmütter“ abgestempelt werden, nur weil sie sich dazu entscheiden, neben dem Kind arbeiten zu gehen. Das Eine schließt das Andere nicht aus, denn nur wenn die Mama (und natürlich auch der Papa) mit der Lebenssituation glücklich ist, ist auch das Kind glücklich.
Seid Ihr auch gerade dabei, Euren Weg beim Thema Familien- und Berufsmodell zu finden wisst aber nicht so recht wie? Dann schaut doch mal der Seite meines Coaching-Angebots vorbei.
Fotocredit: Natalie Eichhorn